Ist es wirtschaftlich, einen Roboter einzusetzen, wenn er nicht alle Tätigkeiten beherrscht, die man braucht?

 

Interview mit Markus Frischeisen, Leiter Planung Automatisierungstechnik der AUDI AG


Herr Frischeisen, wo sehen Sie die aktuellen Herausforderungen für die Automatisierungstechnik im Automobilbereich?

Eine zentrale Herausforderung liegt sicher darin, dass sich die Struktur gerade grundsätzlich ändert. Bisher hat die Automatisierung im Karosseriebau rund 10.000 bis 12.000 Vernetzungen beherrscht – das ist der Standard. Jetzt rücken die Daten immer mehr in den Vordergrund. Das Buzzword ist Big Data. Darauf stellen wir uns nach und nach ein. Das heißt konkret, dass die Aufgaben aus der Automatisierungswelt immer mehr in die Welt der Daten wandern. Dazu brauchen wir Hochgeschwindigkeitsschnittstellen – und bei den Geräten die Voraussetzungen, dass wir die neuen Datenmengen verarbeiten können. Ein zweiter Punkt, der eng damit zusammenhängt, ist die Bedienbarkeit: Automatisierungstechnik muss intuitiver gestaltet werden und den Menschen so dazu befähigen, komplexe Systeme schnell zu verstehen und zu bewältigen. Etwa so, wie das Smartphone mit der Wischtechnik. Und schließlich darf Big Data kein Selbstzweck sein. Hier ist Predictive Maintenance ein gutes Stichwort: Die große Menge an Daten soll nicht nur aufgezeichnet werden, sondern uns den Benefit ermöglichen, in die Zukunft zu schauen. Wir wollen wissen, wann eine Maschine ausfällt, um so Wartung gezielt planen zu können. In diesem Zusammenhang hat FANUC gerade sein neues Zero Downtime-Konzept vorgestellt. Wir sind sehr darauf gespannt, es zum ersten Mal zum Einsatz zu bringen und wie es uns in puncto vorausschauende Wartung voranbringt. Eine weitere Herausforderung ist außerdem das Thema Energieeinsparung: Wir achten sehr darauf, dass wir Komponenten einsetzen, die verschiedene Energieabschaltszenarien wie etwa Standby in Produktionspausen anbieten.



Welche Fortschritte erwarten Sie in der Automatisierung hinsichtlich alternativer Bearbeitungs- und Fügeverfahren, z. B. für Aluminium und Composite-Materialien?

In der Automobilbranche kommen bereits alle gängigen Fügeverfahren zum Einsatz – Kleben und Nieten etwa sind Stand der Technik. Grundsätzlich ist damit alles schon heute beherrschbar, gerade mit Prozessgeräten am Roboter, die alle Prozessverfahren durchgängig unterstützen. Das Ziel ist deshalb vielmehr, Composite-Materialien in Zukunft mit noch höherer Präzision und Performance verbinden zu können, um den steigenden Qualitätsansprüchen zu genügen.



Kooperierende Roboter sind zurzeit ein großes Thema. Wie wird diese Technologie die Automatisierung im Automobilbereich verändern?

Es gibt eine bekannte Aussage aus der Wissenschaft, nach der 99% aller Tätigkeiten automatisierbar seien. Ich denke, das muss zumindest für den Bereich der Automatisierung im Automobilbereich differenzierter gesehen werden. Dabei ist die Frage nach kooperierenden Robotern erst einmal eine Frage des Wordings. Heute meint man mit ‚kooperativ’ im Allgemeinen das Darreichen eines Teils. Für mich persönlich bedeutet wirkliche Kooperation, dass sich Mensch und Roboter an einem Arbeitsplatz befinden und zusammen arbeiten. Wir selbst setzen momentan bereits kooperative Roboter in der Fertigung ein. Sie machen es möglich, den klassischen Schutzzaun zu eliminieren und die Arbeitsräume von Roboter und Mensch zusammenzuführen. Aber das ist erst der erste Schritt. Für den zweiten Schritt, in dem Mensch und Roboter gemeinsam an einem Teil arbeiten, kenne ich heute noch keine Lösung, die das serienmäßig umsetzt. Ein weiterer Aspekt: Die zunehmende Automatisierung durch kooperierende Roboter wird auch immer mit den Fragen verbunden sein: Ist das wirtschaftlich? Kann ein Mensch das nicht besser? Dazu kommen weitere zentrale Punkte wie Sicherheit und Arbeitsraum – damit wird man sich immer beschäftigen müssen. Unter dem Strich bleibt die Frage: Ist es wirtschaftlich, einen Roboter einzusetzen, wenn er nicht alle Tätigkeiten beherrscht, die man braucht?



Wo sehen Sie die Einsatzbereiche für kooperierende Roboter? Sind die heute angebotenen Traglasten und Reichweiten ausreichend?

Sieht man diese Frage unter dem Stichwort Ergonomie – das heißt, dass der kooperierende Roboter dem Menschen schwere Lasten abnimmt – denke ich, dass der FANUC CR-35iA momentan der einzige kooperierende Roboter ist, der mit 35 kg eine ausreichende Traglast bietet. Alle anderen liegen weit drunter. Hier muss die Entwicklung ganz klar zu höheren Traglasten und Reichweiten bei akzeptablen Kosten gehen.



Ein weiteres Thema sind intelligente, lernende Roboter. Wie können sie konkret zur Prozessoptimierung beitragen?

Eine ganze Menge. Momentan ist es so, dass neben kooperativen auch lernende Roboter ein beherrschendes Thema in der klassischen Industrieroboterwelt sind und in dieser Hinsicht schon einiges mitbringen. Aber unser Bedarf geht weiter: Wie beispielsweise zeige ich dem Roboter etwas, und er baut es dann in seinen Methodenbaukasten ein? Nehmen Sie etwa eine Kiste, in die der Roboter greift, und dabei eine Stelle schlecht erreicht. Dann wollen wir ihn führen und es ihm so von Hand zeigen können – und er soll es bei der nächsten Kiste eigenständig umsetzen können. Und unser Wunsch geht weiter: dass sich alle gleich arbeitenden Roboter diese Information automatisch von ihm besorgen und so ohne großen Aufwand eine Art Schwarmintelligenz bilden.



Welche Aufgaben sehen Sie in den nächsten Jahren auf die Automatisierungspartner im Automobilsektor zukommen?

In der Automatisierungstechnik brauchen wir Fachkräfte. Dabei sprechen wir von ganz verschiedenen Bereichen – v. a. IT für Big Data, Robotertechnik und künstlicher Intelligenz. Diese nötige Interdisziplinarität wird ein einzelner Hersteller nicht für sich anbieten können. Deshalb werden Kooperationen immer wichtiger – mit anderen Herstellern, aber auch mit Hochschulen.